Tibor Mérey Booklet 1
Tibor Mérey Booklet 1
TIBOR MÉREY:

Es braucht die richtigen Hämmer für den Nagel, nicht umgekehrt

Tibor Mérey

Herr Mérey, wo befinden Sie sich gerade?
In meinem Büro in Wien. Aber vor einer Stunde saß ich noch in unserem Office in Dubai.

Wirklich? Können Sie sich beamen?
Das noch nicht, ich hatte nur meine Virtual-Reality-Brille (VR) auf. Unser Büro in Dubai haben wir im Metaverse gebaut, es fühlt sich wirklich an, als ob wir als Personen mit unseren Körpern da seien, meine Kolleginnen, Kollegen und ich. Der Raum ist rundherum da. Ich kann mich jedem zuwenden.

Sie erforschen das Metaverse, welche Entwicklungen sehen Sie hier aktuell?
Kurz nach dem Wiesbadener Zukunftsfestival im letzten Herbst kam das Virtual-Reality-Headset Meta Quest Pro auf den Markt. Es ist das erste Gerät, das Mixed Reality am Schreibtisch richtig gut möglich macht. Mit nur einer Tastatur, aber mit so vielen Monitoren wie möglich.

Eine Frage, die Ihnen auch auf dem Zukunftsfestival gestellt wurde: Was sollte, was kann jeder mal ausprobieren?
Ich kann nur empfehlen, sich eine entsprechende Brille zu besorgen, entweder zu kaufen oder wenigstens zu leihen. Man muss es erlebt haben, um den Unterschied zu kennen, was sich ändert mit drei Dimensionen. Was zum Beispiel ein 3-D-Training von einem Webinar unterscheidet. Für mich ist das wie der Unterschied zwischen einem Salsavideo auf YouTube und einem echten Tanzkurs. Man merkt, dass wir Menschen dreidimensionale Wesen sind.

Also einfach mal aufsetzen und loslegen?
Genau. Und ich sage bei jedem, der es probiert, immer dazu: Das wird die schlechteste VR-Erfahrung sein, die du je gemacht haben wirst. Warum? Weil die nächste besser sein wird, und die danach noch besser. Heute stehen Nutzungen bereit, die es vor einem Jahr noch nicht gab.

Wie verändert sich dadurch Ihre tägliche Arbeit?
Vor einem Jahr hatten wir noch viele Metaverse-„Touristen“, wie ich sie nenne. Neugierige, die sich erst mal nur einen Tag umschauen wollten, für einen ersten Ausflug. Jetzt verändert sich die Diskussion dahingehend, dass viele Unternehmen hier einen echten Return on Investment realisieren wollen. Also das Ausprobieren hinter sich haben und richtigen Wert generieren möchten.

Wie gelingt das?
Ein Beispiel für solche Nutzungen sind interne Trainings, aber auch größere Industrieabläufe, die sich mit Zuhilfenahme von VR modernisieren und verbessern lassen.

Dann wurde aus Ausprobieren ein praktisches Arbeiten?
Absolut, generell entsteht bei vielen Unternehmen gerade eine neue Basis für Kundenshowrooms und auch für interne Maßnahmen. Jetzt sind diese Unternehmen dabei, Dinge zu realisieren, mit denen sie entweder Kosten senken können, Prozesse beschleunigen oder zusätzliches Geschäft schaffen.

Können VR und das Metaverse mittlerweile mehr, als nur die Reise von Vertriebsmitarbeitern nach Hamburg zu sparen?
Definitiv. Ich stelle gern die Frage nach den messbaren Ergebnissen. Für mich ist der wichtigste Wert meist die Entscheidungsfindung. Heute können Themen unabhängig vom Arbeitsort viel schneller entschieden werden. Früher wurde eher nach Ende eines Teams-Meetings auf das nächste gewartet. In der Mixed-Reality-Welt lassen sich Entscheidungen beschleunigen.

Werden Unternehmen dadurch handlungsfähiger?
Ja, das merken wir tatsächlich. Ohnehin kommen viele Mitarbeiter wieder ins Office zurück, was der Produktivität hilft. Neu ist aber die zusätzliche Option mit Technologie, mit denen die Leute auch in ein ganz anderes Büro geholt werden können, anlassbezogen.

Wie sehr ist Mixed Reality bei Ihrem Arbeitgeber, der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), ein Thema?
Bei uns ist daraus ein eigenständiger Arbeitsbereich entstanden, in dem wir schon über 130 Projekte gestartet haben. Wir kommen dann ins Spiel, wenn es um großen Impact, um spürbare Wirkung, geht. Um ganz neue Geschäftsfelder zum Beispiel. Deshalb ist es umso spannender, dass unsere Einheit auch ganze Produktwelten bauen kann. Auf diese Weise können wir immer die richtigen Fragen stellen, welche Technologie sich am besten eignet, mal ist es Virtual Reality, mal Augmented Reality, oder vielleicht doch die Blockchain. Damit umgehen wir die Falle, dass wir für die neuen Hämmer den richtigen Nagel suchen müssen. Es muss umgekehrt laufen – dass man mit dem Businessproblem der Kunden startet und dann die richtige Lösung findet.

Wie wird es mit dem Metaverse in Zukunft weiter gehen, welche Möglichkeiten stecken noch darin?
Wir werden eine weitere Welle beobachten, was die Ausbreitung angeht. Gestartet ist vieles im Bereich des Gamings, dem Markt der Computerspiele. Jetzt beginnt es im Business-to-Business, dort ist gerade sehr viel Mehrwert möglich.

Setzt es sich auch irgendwann beim Konsumenten durch?
Ich erinnere hier gern an die ersten Mobiltelefone, die großen Motorola-Knochen, die damals nur von Geschäftsleuten genutzt wurden. Attraktiver für jedermann wurde es, als die Smartphones kamen.

Was könnte der Schlüssel zum Metaverse für jedermann sein?
Wir haben jetzt zur Jahresmitte wie erwartet das erste Apple-Headset bekommen und es ist noch im hochpreisigen Segment angesiedelt. Wenn wir es aber schaffen, dass Kosten und Funktionalitäten massentauglich werden, kommen wir in die Welt der Kunden. Dieses Schwungrad hat längst begonnen, sich zu drehen.

Ein Aspekt des Metaverse ist, dass Menschen in virtuellen Shoppingmalls oder an virtuellen Stränden konsumieren. Berühren sich diese Modelle mit Ihren aus der Arbeitswelt?
Durchaus. Wir haben drei Bereiche: Das eine sind immersive Technologien, also das, was Headsets und Virtual oder Augmented Reality abdecken. Das zweite Thema ist das Web 3.0, also der Ort, wo die Blockchain oder auch digitale Güter ins Spiel kommen. Das dritte sind Metawelten, also Plattformen wie Fortnite oder digitale Shoppingcenter. Es gibt Überlappungen, manches hat auch wenig miteinander zu tun. Es ist wichtig, alle Aspekte zu kennen, um dann wieder richtige Lösungen für Probleme finden zu können, Stichwort Hammer und Nagel. Es gibt Konsumgüter, die mit einem virtuellen Erlebnis einen echten Mehrwert schaffen können. Zum Beispiel, wenn man nur die neue Tapete oder den Anstrich erst einmal im virtuellen Zuhause besichtigen will. Das wäre ein Beispiel, wie es gelingt, diese Tools intelligent anzuwenden.

Droht das Thema VR in der Aufregung um Künstliche Intelligenz gerade ein wenig unterzugehen?
Der Autor Neal Stephenson, vor über 30 Jahren der Erfinder des Begriffs Metaverse, wurde genau darauf angesprochen. Seine Antwort lautete: Das Problem ist, dass die Geschwindigkeit eines Hypes immer viel größer ist als die Geschwindigkeit der Entwicklung selbst. Es hat ja auch ein wenig gedauert, bis wir vom ersten iPhone 2007 zur heutigen Version kamen.