Sven Plöger Booklet 2
Sven Plöger Booklet 2
SVEN PLÖGER:

Zieht euch warm an, es wird noch heißer

Sven Plöger

Es ist nur Physik
Das Ziel zu definieren ist nicht schwierig, das wurde uns nämlich im Paris-Abkommen schon abgenommen: Wir müssen den mittleren globalen Temperaturanstieg bis Ende dieses Jahrhunderts auf unter 2, besser noch 1,5 Grad begrenzen. Dass Letzteres überhaupt noch zu schaffen ist, bezweifeln etliche Forschungseinrichtungen bereits, darunter die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Man streitet sich derzeit darüber, ob man das Ziel auch offiziell aufgeben darf, weil das realistisch wäre, oder ob man es aufrechterhalten muss, um die Willigen zu motivieren. Wieder einmal – die Physik interessiert das nicht. Klar ist: Nur wenn es gelingt, die Erderwärmung auf die genannte Maximaltemperatur zu begrenzen, können Flora und Fauna der Geschwindigkeit, mit der sich die klimatischen Bedingungen ändern, halbwegs folgen und ein nennenswerter Teil der Menschen die Auswirkungen des Klimawandels einigermaßen überstehen. Daraus lässt sich die Menge der Treibhausgase herleiten, die noch in die Atmosphäre gelangen darf. Zieht man davon die dort bereits vorhandene Menge ab, ergibt sich, wie anfangs bereits beschrieben, unser CO 2 - Budget für das Paris-Ziel. Es beträgt 300 (1,5 Grad) bis 900 (2 Grad) Gigatonnen.

Das klingt nach viel, ist es aber gar nicht, bedenkt man, dass die Menschheit – nach wie vor etwa 40 Gigatonnen pro Jahr produziert. Machen wir einfach so weiter wie bisher, schließt sich für ein stabiles und für Menschen überlebbares Weltklima innerhalb der nächsten 20 Jahre eine Tür nach der anderen. Zur Erinnerung: Für das 1,5-Grad-Ziel wären die globalen CO2 -Emissionen jährlich um rund 2 Milliarden Tonnen zu reduzieren, also etwa die Menge, die im ersten Corona-Jahr eingespart wurde.

Und in Deutschland? Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) rechnet vor: Um das 1,5-Grad-Ziel wenigstens mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zu erreichen, müssten wir die Emissionen auf maximal 3 Gigatonnen CO2 begrenzen. Und wie Sie sich vorstellen können, verlangt eine höhere Wahrscheinlichkeit geringere Emissionen. An diese Stelle gehört auch noch eine Klarstellung zur Zeitachse: Das genannte Kontingent würde bedeuten, dass Deutschland spätestens 2035 klimaneutral sein müsste, nicht 2045, wie von der Regierung immer wieder verbreitet.

Für den „Zwischenwert“ von 1,75 Grad wären es 6 Gigatonnen, was eine Neutralität bis 2040 verlangen würde. Diese Zielwerte wählt der SRU, weil sie Deutschland „zumutbar“ sind – wir können sie erreichen und im weltweiten Kontext wären sie ein angemessener Beitrag. Um dem dank klarer Verantwortlichkeiten schneller nahe zu kommen, hatte die Politik das deutsche Gesamtziel 2019 in einzelne Sektorziele geteilt, die jährlich einzuhalten Aufgabe der zuständigen Ministerien war. Dieses Konzept scheint die Regierung 2023 bereits wieder aufgeben zu wollen. Bliebe die Motivation, dass Deutschland aufgrund seiner verfehlten Klimaziele für zweistellige Millionenbeträge Emissionsrechte von anderen EUStaaten kaufen muss.


Versuchen Sie einmal, den Vorgang möglichst nüchtern zu betrachten. Es ist nichts Persönliches, es geht nicht um Glauben oder gar Belohnung und Bestrafung. Wir sind mit naturwissenschaftlichen Tatsachen konfrontiert und denen sind solche menschlichen Konzepte völlig fremd. Alles, was wir tun, tun wir so gesehen nur für uns. Und wir kämpfen nun noch mehr um jedes Zehntel Grad!

Zur nackten Realität der Natur gehört auch, dass es keine „energiefreien“ Waren oder Dienstleistungen gibt. Für jede Bewegung, jeden Prozess, jeden Produktionsschritt brauchen wir – neben materiellen Ressourcen – Energie. Die ziehen wir seit geraumer Zeit aus der chemischen Bindungsenergie fossiler Brennstoffe. Und genau das müssen wir nun schleunigst anders machen. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Sehen wir uns daher die wirklich relevanten Stellschrauben für unser Vorhaben an, die globale Temperatursteigerung zu bremsen.

Die großen Kohlenstoffkreisläufe vollziehen sich – wie bereits erläutert – innerhalb bestimmter Medien, die Kohlenstoff abwechselnd freisetzen und wieder binden. Umweltmedien, die der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entnehmen, als sie in sie abgeben, nennen wir „Senken“. Wir werden uns in diesem Abschnitt die drei größten ansehen: die Wälder, die Meere und die Moore. Ihre Funktion aufrechtzuerhalten, sie wiederherzustellen oder womöglich zu stärken, ist eine der wichtigsten Stellschrauben im Klimageschehen. In den vergangenen 50 Jahren haben Pflanzen und Böden etwa 30 Prozent unserer CO2 -Emissionen absorbiert, Ozeane mehr als 20 Prozent. Nun verlieren sie diese Fähigkeit in rasantem Tempo.

Wir Menschen haben unterdessen etliche neue „Quellen“ geschaffen, aus denen zusätzlicher Kohlenstoff ins System strömt, im Wesentlichen durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Diese wieder zu schließen ist die zweite große Stellschraube. Die wichtigsten Quellen, auf die wir uns im Folgenden konzentrieren wollen, sind die Energiewirtschaft – hier geht es vor allem um Elektrizität –, der Verkehr, die Gebäudetemperierung und die Landwirtschaft. Zusätzlich zu nennen wäre die industrielle Produktion, die sich aber aufgrund der Unzahl der Produkte im Rahmen dieses Buches kaum fassen lässt und nicht im Detail behandelt wird. Natürlich verbirgt sich dahinter unser allgemeiner Konsum, der geradezu fantastische Dimensionen angenommen hat. Wichtige Themen wären hier zum Beispiel die Textilproduktion, das Bauwesen oder die Elektrotechnik.


Zieht euch warm an, es wird noch heißer!
Können wir den Klimawandel noch beherrschen?
ISBN 978-3-86489-409-1