OHNE WORTE 2
OHNE WORTE 2
MissionMiteinander News

Mit Händen und Füßen sprechen

Februar 2022: Als der Angriffskrieg auf die Ukraine beginnt, kann R+V-Mitarbeiter Sebastian Wilkens nicht tatenlos zusehen. Kurzerhand fährt er an die ukrainische Grenze, um dort zu helfen – ungünstig nur, dass dort so gut wie niemand Englisch spricht. Unsicherheit und Hemmungen sind ständige Begleiter in der Kommunikation. „Man fühlt sich ziemlich verloren, obwohl alle sehr dankbar waren“, sagt er heute. Nach mehreren Tagen des Helfens nimmt Wilkens drei Geflüchtete in seinem Auto mit nach Deutschland – ohne Sprachkenntnisse eine besonders große Herausforderung: „Da nützt auch eine Übersetzungs-App nicht viel, wenn man als großer, bärtiger Mann eine Frau davon überzeugen möchte, dass man ihr nichts Böses will“, erinnert er sich.

Schließlich klappt es doch. Nachdem er seine Mitfahrer sicher bis nach Frankfurt gebracht und zwei bei sich aufgenommen hat, geht Wilkens das Gefühl der sprachlosen Verlorenheit nicht aus dem Kopf. Wie muss es nur den vielen ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland gehen, die von heute auf morgen ihre Heimat verlassen mussten, oft sogar als Kind? Wenig später reicht er bei der MissionMiteinander ein Projekt ein, das auch für Kinder ohne Deutschkenntnisse ein außergewöhnliches Kulturerlebnis schafft: das „Theater OHNE WORTE“ – ein Kindertheater, das weder Deutsch noch Fremdsprachen kennt und genau damit große Emotionen bei seinen jungen Zuschauern auslöst.

Kinder spielen mit

„Das Problem der Sprachbarrieren ist schon weitaus älter als die Ukraine-Krise“, weiß Schauspielerin Antje Kania vom Theater OHNE WORTE. Sonst tourt sie als Figurenspielerin durch Kindergärten und Grundschulen. Während dieser Aufführungen hat sie es schon oft erlebt, dass Kinder ohne Deutschkenntnisse abschalten oder unruhig werden, weil sie – genau wie im Alltag – einfach nicht hinterherkommen. Ganz anders lief es beim Theater OHNE WORTE: Die Kinder hätten die Stücke bis zum Schluss gespannt und konzentriert verfolgt, erinnert sich die erfahrene Schauspielerin: „Kinder sind ein ehrliches Publikum. Man merkt ihnen sofort an, was gute Unterhaltung für sie ist.“

Beim Theater OHNE WORTE dreht sich alles um Körpersprache, Musik und vor allem um die Interaktion mit dem Publikum. Denn Kania und ihre Schauspiel-Kollegen beziehen die Kinder vollkommen mit ein ins Stück. Dadurch ergaben sich viele Szenen ganz von selbst: Etwa die Verfolgungsjagd nach einer Diebin, die von den Zuschauern das eine Mal gestellt und überführt wird und ein anderes Mal mal versteckt und bekehrt.

Wie das Theater ankommt

„Wenn die Sprache wegfällt, wird alles automatisch viel körperbetonter“, sagt Schauspielerin Kania. Hinzu kommen Requisiten, die sich für die verschiedenen Szenen mit etwas Fantasie in alles verwandeln können. Eine leere Klorolle wird beispielsweise zum Fernrohr – ganz, wie die Kinder es vom eigenen Spielen kennen.

Das Feedback zeigt, welche Lücke die Aufführungen schließen: „Eine Erzieherin hat uns erzählt, wie begeistert ein Junge war, den wir zufällig rausgepickt hatten, damit er sich etwas aus unserer Requisitenkiste aussucht. Es hat ihn sehr glücklich gemacht, dass er die Show von Anfang bis Ende verstehen konnte“, erinnert sich Antje Kania. Und auch, wenn die Kinder Worte wie „Zugabe“ meist nicht kennen – dass sie Spaß an den Aufführungen hatten, zeigen sie durch leuchtende Augen, Lachen und schüchternes Lob an das Ensemble. Eine Schule war so begeistert, dass sie das Programm auf eigene Kosten für alle 16 Klassen gebucht hat.

Wie die MissionMiteinander hilft

Das Projekt hat mit finanzieller Unterstützung der MissionMiteinander in verschiedenen Einrichtungen von Schule bis Stadtbibliothek bis heute schon annähernd 300 Kinder begeistert, oftmals mit Migrationshintergrund oder Hörschädigung. Die Idee zu einem solchen Theater hatte Antje Kania dabei schon länger und auch erste Tests auf der Bühne gemacht. Doch erst durch die R+V-Unterstützung konnte sie gemeinsam mit Schauspielkollegin Claudia Stump und Musiker Marek Herz die Idee weiterentwickeln, die Szenen intensiv proben und die Stücke vor einem jungen Publikum aufführen.

Zum Hintergrund: Die R+V hatte zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2022 insgesamt 1,6 Millionen Euro für Projekte bereitgestellt, die eine bessere Zukunft schaffen – die MissionMiteinander. Die R+V-ler konnten für ihr Lieblingsprojekt abstimmen – und je mehr Kolleginnen und Kollegen einem Projekt ihre Stimme gegeben haben, desto höher fiel die finanzielle Unterstützung aus. Viele Projekte wurden auch selbst durch R+V-Mitarbeitende vorgeschlagen –​ wie das Theater OHNE WORTE durch Sebastian Wilkens.​

23 Jahre gemeinsames Schauspiel

Bei den Auftritten selbst war Wilkens zwar nicht dabei. Im Hintergrund hat er seine Freunde und Schauspielkollegen jedoch tatkräftig unterstützt. Gemeinsam mit ihnen steht er mit der Improvisationstheatergruppe „Für Garderobe keine Haftung“ leidenschaftlich gern auf der Bühne – und das schon seit 23 Jahren. Die Spendensumme für das Theater OHNE WORTE von 9.900 Euro haben sie unter anderem genutzt, um Requisiten, Fahrtkosten und Proben für insgesamt fünf Aufführungen zu bezahlen.

Auch die Geschichte der Mitfahrer aus der Ukraine hat ein glückliches Ende gefunden: Alle drei sind nach wie vor in Deutschland – eine von ihnen dank der Vermittlung von Sebastian Wilkens als Werkstudentin bei der R+V.