Gesa Ziemer Booklet
Gesa Ziemer Booklet
GESA ZIEMER:

Kinder, Daten, Kindergarten

Gesa Ziemer

Jeder kennt es: Vor allem in Großstädten ist das Nebeneinander von Institutionen und Bürgern bei der Stadtentwicklung häufig schwer mit einer digitalen Transformation in Verbindung zu bringen. Zu viel Neben- statt Miteinander, vielerorts bleiben Informationen als Ressource ungenutzt.

Gesa Ziemers Forschungsschwerpunkt heißt „Digitale Stadt“ und ist am CityScienceLab der HafenCity University Hamburg angesiedelt. Anders als bei der technologischen, auch konsumorientierten „Smart City“ steht bei der digitalen Stadt die Frage im Vordergrund, wie Daten den Menschen zugutekommen. Und wie sich dadurch die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichsten Akteuren fördern lässt.

„Digitalisierung in der Stadtentwicklung bedeutet Teilhabe“, sagt Gesa Ziemer in unserem Gespräch. Sie engagiert sich intensiv dafür, dass eine kluge Nutzung und Vernetzung von Daten die Beteiligung der Bürger verbessert.

Denn die Herausforderungen an Städte sind mindestens so gigantisch wie die dort produzierten Datenmengen: Schon jetzt leben knapp 60 Prozent von über acht Milliarden Menschen weltweit in Städten, dieser Anteil wird weiter steigen. Die Zahl der Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern ist auf über 30 angewachsen. Aber wie können Daten dabei helfen, die Städte lebenswerter zu gestalten?

Datenfakten statt Silodenken
Zunächst indem sie auf einer urbanen Datenplattform gut organisiert werden und möglichst vielen Menschen zur Verfügung stehen, sagt Gesa Ziemer. Gerade die Aufbereitung von Daten ermögliche zum Beispiel die Modellierung von Szenarien – und damit ein „zurück zu den Fakten“. Als Gegenentwurf betrachtet Ziemer populistische oder ideologische Annahmen für die Zukunft der Stadt.

Ohnehin seien Städte und Bürger längst zu „Big-Data-Produzenten“ geworden, erklärt sie: Statt Faltkarten nutzen wir Apps; Fahrräder und Autos werden im Sharing-Modus geteilt und können digital ebenso kurzfristig gebucht werden wie Zugtickets. Überall fallen dabei Daten an. Und weit mehr: Digitale Behördengänge sind möglich, Sensoren in der Stadt liefern Umweltdaten, hinzu kommen smarte Gebäude, aber auch die Daten, die aus der Automobilität entstehen. Und nicht zuletzt die Zahlen von Bevölkerung bis Baumbestand, die Städte selbst erheben. Plus die Daten von Industrie, Google und vielen anderen.

Spannend werde das alles, wenn ein Großteil dieser Daten vernetzt sei und möglichst vielen zur Verfügung stehe. Das Gegenteil davon sind für Ziemer „Behördensilos“, also im Wortsinne nebeneinander stehende Speicher, die früher allgegenwärtig waren. Und tatsächlich: Wer kennt nicht das Phänomen seiner Heimatgemeinde, wo beispielsweise keine Verbindung bestand zwischen den Geburtenzahlen von vor drei Jahren und wenig überraschend fehlenden Kindergärten ... Weil eben nicht die Daten zusammengedacht wurden, die zusammengehören.

Unterkünfte, Parkanlagen, Baumbestände
Nur einige Beispiele, wie mit Datenverknüpfungen Positives geschaffen werden kann: In Hamburg entstand mit „Finding Places“ eine aktive Mithilfe der Bevölkerung bei der Standortsuche für provisorische Unterkünfte angesichts von bis zu 40.000 Geflüchteten. Bürger können sich an der Entscheidungsfindung zu neuen Wohnarealen, aber auch Parkanlagen beteiligen, sie finden zudem eine Übersicht sämtlicher Bäume in Städte häufen Daten an. Sie werden mit Hilfe des Partizipationssystems DIPAS bei Simulationen neuer Radwege ebenso einbezogen wie bei anderen Infrastrukturprojekten.

Drohen dabei nicht automatisch Enttäuschungen, öffnet zu viel Mitsprache nicht hin und wieder die Türen für Wutbürger oder Shitstorms? Nur, wenn sich Beteiligungen als „Alibiprojekte“ herausstellten, sagt Gesa Ziemer. Wichtig sei, dass ein unmittelbarer Kontakt und eine Erreichbarkeit für die beteiligten Institutionen durch die Bürger gegeben ist. Und dass die digitalen Werkzeuge helfen, auf lokaler Ebene Zusammenhänge begreifbar zu machen.

Datenbeteiligung in Hamburg und Nairobi

Gesa Ziemer ist in Hamburg angesiedelt, für die UN aber auch im 6500 Kilometer entfernten Nairobi in Kenia tätig. Auch dort sei die Idee, möglichst viele Menschen in Projekten zu Fachleuten zu machen, von ähnlichen technischen Voraussetzungen geprägt, sagt Ziemer: Es gehe stets um die Anbindung und Zugänglichkeit von Daten. Lediglich die Anwendungsfälle variierten: In Afrika spiele deutlich mehr der Einsatz von Klimadaten bei Umweltmaßnahmen eine Rolle, aber auch Grundsätzliches zu Einwohnerzahlen – gerade in einer Stadt wie Nairobi, in der ein Großteil der Menschen in informellen, also provisorisch entstandenen Behausungen lebe.

Seit Ziemers Vortrag beim Zukunftsfestival hat die Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) rasant an Dynamik aufgenommen. Ist dies aus ihrer Sicht Fluch oder Segen für einen Forschungsschwerpunkt wie „Digitale Stadt“? Gesa Ziemer blickt optimistisch auf die Gesamtentwicklung: Schon vor dem Hype um KI hat sie dazu aufgefordert, neue Technologien „klug in gesellschaftlich verantwortliches Handeln zu integrieren“.

Die Zukunft mit KI? Dass damit beispielsweise noch größere Datenmengen, dazu gehören auch Bürgerhinweise, schneller gebündelt und geclustert werden. Virtuelle Räume dürften bei Simulationen noch wichtiger werden. „Die Schnittstellen zwischen Informatik und Stadtforschung sind längst nicht ausgereizt“, sagt Ziemer.