Christina Moser Booklet
Christina Moser Booklet
CHRISTINA MOSER:

Von Zukunftsangst zu Zukunftsmut

Christina Moser

Frau Moser, gestatten Sie uns einen Blick in die Zukunftswerkstatt? Wie sehen Ihr Schreibtisch und die Werkzeuge darauf aus?
Von allem findet sich ein wenig. Es geht nicht ohne Rechner, aber auch nicht ohne Buch- und Zeitschriftenstapel, Block und Bleistift. Es gilt viel zu lesen und mit Menschen zu sprechen. Auch wenn ich nie die gesamte Zukunft überschauen kann.

Wie schlecht ist es, von etwas eigentlich Nicht-Überraschendem tatsächlich kalt erwischt zu werden?
Das sind die sogenannten Predictable Surprises, an denen ich arbeite, die zumindest teilweise vorhersagbaren Überraschungen. Der Begriff klingt nach einem Paradox. Aber es ist leider wahnsinnig schwer, sich nicht überraschen zu lassen. Es gab vor über zehn Jahren schon Experten, die ein Killervirus durchgespielt haben. Ich finde es faszinierend, wie oft wir uns überraschen lassen von Ereignissen, die im Kern gar nicht so überraschend sind.

Haben Sie ein weiteres Beispiel?
Denken Sie nur an den Fachkräftemangel. Es gab und gibt viele Indikatoren, nicht zuletzt die berechenbaren Rentenwellen. Trotzdem fühlen sich manche davon überrascht.

Wenn Sie an die vermeintliche „Überraschung“ Klimawandel denken: Was ist der Grund, warum manche fast gleichgültig damit umgehen?
Er gehört zu den Themen, die oft diffus erscheinen. Manche Menschen denken, dass er sie nicht betrifft. Oder sie glauben nicht daran, weil er sich zu weit weg anfühlt.

Wie kommt dieses Diffuse zustande?
Das Gehirn des Menschen blendet auch mal gerne Dinge aus. Das findet in Wahrnehmungsverzerrungen statt, wie zum Beispiel die sogenannte Confirmation Bias: Eine Art
Bestätigungsmechanismus für das, was man ohnehin denkt.

Sie empfehlen Einzelnen und Organisationen, dass sie sich resilient machen für die Zukunft. Wie können Individuum und Unternehmen Stabilität und Resilienz erlangen?
Das Thema Ressourcen ist hier ganz wichtig, also die eigenen Stärken zu sehen und weiter auszubauen, die Potenziale zu kennen und sich zu vergegenwärtigen.

Warum ist das wichtig?
Wenn ich weiß, womit ich arbeiten kann und wo ich Ressourcen brauche, kann ich viel schneller agieren, wenn etwas passiert. Das gilt für Personen wie für Organisationen. Nehmen Sie Karstadt, wo viele Arbeitsplätze wegfallen können. Wenn mich so etwas als Einzelnen betrifft, muss ich mich auf das besinnen, was ich habe. Auf Kompetenzen, aber auch auf Möglichkeiten für die Zukunft, zum Beispiel Weiterbildungen, um Handlungsfähigkeit zu erhalten. Das bedeutet auch, dass ich nicht paralysiert bin, sondern selbst meine Zukunft mitgestalte.

Kann ich Handlungsfähigkeit auch zeigen, indem ich einfach schneller bin?
Im Privaten nur bedingt, bei Unternehmen in Wettbewerbssituationen umso mehr. Wenn ich das Unternehmen bin, das sich schneller erholt oder als erstes die Chancen ergreift, habe ich mir einen Vorteil erarbeitet.

Das würde bedeuten, dass Dinge wie Reflexion, in Ruhe arbeiten, vieles, was den deutschen Mittelstand auszeichnet, hier nicht so gefragt sind, oder?
Reflexion ist immer wichtig. Und auch die Ruhe darf man sich nicht nehmen lassen. Wichtig ist die aktive Auseinandersetzung mit Zukunft und sich zu trauen, auch zu handeln. Ich empfehle klein zu starten. Nicht das Rad neu erfinden. Nicht zu Beginn schon einen perfekten Zukunftsforschungsprozess aufsetzen wollen, sondern sich mit frei verfügbaren Informationen beschäftigen und darauf aufzubauen. Das, was viele Unternehmen bereits tun, die regelmäßig mit ihren Kunden sprechen oder sich per Beschwerdemanagement austauschen. Das ist die Basis. Wenn ich etwas bereits durchdacht habe, kann ich Ereignisse besser zuordnen.

Was ist für mögliche Krisen bei Unternehmen wichtig? Auf alles vorbereitet zu sein, was theoretisch geschehen kann?
Sich auf alles vorzubereiten ist nicht möglich. Es bringt Unternehmen meiner Ansicht nach wenig, für alle unwahrscheinlichen, aber einschneidenden Entwicklungen zu planen – einer Pandemie, einem feststeckenden Frachter auf einer zentralen Schifffahrtsroute, einem Krieg wie in der Ukraine. Aber ich kann mich von der anderen Seite nähern: Wo habe ich in meinem Haus kritische Infrastruktur? Was muss in der Lieferkette schiefgehen, damit mein Kerngeschäft belastet ist? Und was kann ich im Zweifelsfall tun?

Die Zukunftsforschung umgibt gern etwas Zampanohaftes, dass da traditionell einer steht, der genau sagt, wie es laufen wird. Was halten Sie von solchen Vorhersagen?
Ich finde einen Determinismus, also die Idee von der Vorbestimmtheit von Dingen, in unserem Fach nicht angebracht.

Wie lautet Ihr Credo?
Mir ist es wichtig, von „Zukünften“ statt von Zukunft zu sprechen. Es geht um wahrscheinliche, mögliche und wünschbare Zukünfte. Denn auch wenn alle Sicherheiten wollen – es braucht den Nebensatz, dass wir es am Schluss alle nicht wissen können. Auch deshalb braucht es Resilienz.

Warum genau?
Um aus Zukunftsangst in den Zukunftsmut zu kommen. Wir dürfen Unsicherheit nicht als etwas Verwerfliches ansehen. Unsicherheit ist überhaupt erst die Plattform, dank der wir gestalten können. Wenn wir immer wüssten, wie alles wird, bräuchten wir keine Visionen und Pläne mehr entwerfen.

Gibt es für Sie einen Megatrend, der seit dem Zukunftsfestival für uns alle unübersehbar dazukam?
Megatrends sind relativ stabil und überdauern teils Jahrzehnte. Gesellschaftliche Veränderungen mögen sehr langsam sein, aber es passiert jeden Tag Neues. Themen wie beispielsweise die Kreislaufwirtschaft und Mental Health gewinnen an Aufmerksamkeit.

Was ist mit Künstlicher Intelligenz?
Bei KI ist es so, dass unheimlich viel und das sehr schnell in diesem Bereich geschieht, es ist eine Technologie, die mitgedacht werden muss. Nicht per se als Trend, sondern als Einflussfaktor auf viele verschiedene Entwicklungen.